Ein Engel in weißen Jeans

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SWR2 Wort zum Sonntag

Sonntag, 04. April 2010

von Dr. Angela Rinn, Mainz, Evangelische Kirche

 

Karfreitag, auf einem kleinen Friedhof oberhalb des Rheins. Ich beobachte eine junge Frau, die schwungvoll mit ihrem Sportwagen vorfährt. Sie sieht so ganz anders aus als die alten Frauen, die an diesem Feiertagnachmittag die Gräber pflegen: Weiße Jeans, blonde, hochgesteckte Haare. Die Frau greift sich eine Gießkanne und eilt zielgerichtet zu einem Grab. Sie gießt und zupft vertrocknete Blüten ab. Dann braust sie wieder davon. Merkwürdig sieht das Grab aus, das sie gepflegt hat, schon von weitem. Neugierig trete ich näher: „Ein unbekannter Mensch" steht auf dem Kreuz. Ein unbekannter Mensch - was soll das bedeuten? Drei Frauen stehen zusammen und schwatzen ein wenig. Ich wende mich an sie. „Ach das, ja, das ist eine merkwürdige Geschichte. Ein unbekannter Mann, er wurde in einem Wald gefunden, niemand wusste, wer er war, obwohl, es gab Vermutungen, aber nie wurde wirklich nachgeforscht. Zuletzt haben sie ihn hier beerdigt." - „Und die junge Frau?"-  „Ach, die hat gar nichts damit zu tun. Aber, ihr tat es leid, keiner weiß warum, und so ließ sie ihn beerdigen, und jetzt kommt sie regelmäßig und pflegt das Grab."

 

Ich blicke in die Richtung, in die der Sportwagen davongefahren ist. Sie hatte nichts mit dem Toten zu tun, wenn doch, dann hätten es diese drei älteren Frauen bestimmt gewusst. Nein, diese junge Frau handelt - aus Mitleid. Das wissen die Frauen - und sind fast ein wenig erstaunt darüber.

 

Auch im ältesten Osterbericht der Bibel sind drei Frauen beteiligt. Und ein Engel. Der sagt: Er ist auferstanden.

 

Ein Engel in weißen Kleidern. Zur Rechten des Grabs. Das verheißt Glück, aber wer kann das schon wahrnehmen, wenn die Gesetze der Welt gerade aus den Angeln gehoben werden, wenn man sich selbst auf den Tod nicht mehr verlassen kann. Und so fliehen die Frauen vom Friedhof, vom leeren Grab, in dem kein Leichnam mehr ist.

 

Friedhöfe, sie haben etwas ungemein Verlässliches. Wer hier liegt, kommt nicht mehr weg. Für die drei Frauen, die auf dem kleinen Friedhof beim Rheinsteig ihre Gräber harken und sich dabei unterhalten, wer in der letzten Zeit neu in dieses Planquadrat umgezogen ist, ist auch klar: Hier bleibt, wer hier liegt. Wenn ihnen ein Engel begegnete - ich glaube, sie würden ebenfalls schreiend davonlaufen.

 

Merkwürdig nur diese junge Frau im Sportwagen.

Er ist auferstanden?

Glaube ich daran? Oder glaube ich an den Tod, der Erde schaufelt auf das Leben?

Geheimnisvoll, dass das Grab leer ist. Und erschreckend. Die Frauen fliehen. So endet das Evangelium nach Markus.

 

Ein sonniger Karfreitag-Nachmittag. Ein Friedhof, nahe des Rheinsteigs. Eine junge Frau im Sportwagen. Mit weißen Jeans. Möglicherweise haben Engel heute andere Kleidervorschriften. Ist das Grab leer, das sie versorgt?

 

Nein, unter diesem Stein liegt noch ein Leichnam, den die Polizei nicht identifizieren konnte. Ein unbekannter Mensch.

 

Es gibt den, der diesen Menschen mit Namen kennt, dessen Knochen unter dem Kreuz nahe des Rheins liegen. Ich finde, es ist, auch für diesen unbekannten Menschen ganz wichtig, dass damals, vor 2000 Jahren, der Stein weggerückt war. Denn sonst wäre sein Kreuz, verwitternd, ein Zeichen der Hoffnungslosigkeit. So aber ist es ein Zeichen des Lebens. Du bist mein Bruder, sagt Christus. Dank mir hast du die Würde eines Königskindes. Du wirst auferstehen. Ohne diese Hoffnung wäre der Glaube nichts.

 

Manchmal tragen Engel weiße Jeans. Und sie pflegen Königsgräber. Eins gibt's, nahe St. Goarshausen. Ich habe es am Karfreitag gesehen.